zum Newsletter anmelden
 

Risiko Arbeitsplatz

Eine kleine Gedenktafel am Straßenrand erinnert heute an das Unglück von Rana Plaza, bei dem in Bangladesch im April 2013 ein neunstöckiges Fabrikgebäude zusammenbrach, über 1.100 Menschenleben unter sich begrub und über 2.000 Verletzte forderte. Ein viel zu hoher Preis für Billigklamotten. Diese Tragödie steht symptomatisch für die desolaten Arbeitsbedingungen in der Textilbranche, wo das Machtgefälle so stark ist, wie wohl in keiner anderen Branche der Welt. Vielen Verbrauchern hat der Medienrummel um dieses Unglück erst deutlich gemacht, dass ein 5-Euro-T-Shirt neben dem glücklichen Schnäppchenjäger und dem milliardenschweren Textilriesen auch den einen oder anderen Verlierer hervorbringt. 

Denn schärft man kurz die Sinne, sollte jedem klar sein, dass nach Abzug der Frachtkosten und des kalkulierten Profits der Auftrag- und Arbeitgeber nicht viel für die Sicherung der menschenwürdigen Arbeitsbedingungen in asiatischen Fabriken übrig bleibt. Und solange westliche Auftraggeber dort auf ein Überangebot an Arbeitskräften, laxe Arbeitsschutzbedingungen, schwache Gewerkschaften und Hungerlöhne von 30 Euro pro Monat treffen, wird das immer so bleiben. Zumindest solange wir Westler am Liebsten nach dem Motto „viel Stoff für wenig Geld“ einkaufen.

Dass die Arbeitsbedingungen in Bangladesch – einem der ärmsten Länder der Welt – nicht nach europäischen Standards bewertet werden dürfen und sich deutlich jenseits des Erträglichen befinden, dürfte klar sein. Aber auch im reichen Katar werden Arbeitskräfte systematisch ausgebeutet. Das wohlhabendste Land der Erde steht seit der Vergabe der Fußball-WM im Kreuzfeuer der Kritik, weil auf den Baustellen rund um die WM die Bautrupps wie Sklaven behandelt werden. In Ghettos zusammengepfercht arbeiten die Männer aus Afrika, Indien und Nepal bei 45 °C Hitze bis zur absoluten Erschöpfung – elf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche für umgerechnet 170 Euro im Monat. Der Kontrast zwischen dem Prunk & Protz der Innenstadt mit ihren glänzenden Wolkenkratzern und den grauen, übervölkerten und nach Fäkalien stinkenden Wohnsilos könnte nicht größer sein. Es lebt sich gefährlich am Rande eines Traums, den die Scheichs verwirklichen wollen: bis zum Anpfiff der WM sind vorsichtigen Schätzungen der internationalen Gewerkschaftsunion ITUC zufolge rund 4.000 Tote Arbeiter zu befürchten. Unzureichende Schutzmaßnahmen auf den Baustellen, eine schlechte medizinische Versorgung, Krankheiten, Hitzestress und ärmliche Lebensbedingungen fordern ihren Tribut.

Natürlich sind solche Zustände in Deutschland ausgeschlossen. Wir haben Regeln, die Arbeiter vor Ausbeutung und dem Missbrauch ihrer Rechte schützen. Und seit 2013 dürfen sich die Beschäftigten im Bauhauptgewerbe über einen Mindestlohn freuen, der als unterste und letzte Haltelinie gegen Lohn-Dumping fungiert. Einen großen Anteil an guten Arbeitsbedingungen hat auch die Arbeitssicherheit, und genau hier ist in der Wirtschaftsgroßmacht Deutschland durchaus Optimierungspotenzial vorhanden. Entgegen der allgemeinen Ansicht haben wir bei diesem Thema keine Vorreiterrolle – hier sind wir Mittelmaß, weil unsere Arbeitsschutzkultur im Baugewerbe eher vorschriftenorientiert gelebt wird. Die Unternehmen sind bei Arbeitsunfällen nicht direkt in der Haftpflicht und durch die gesetzliche Unfallversicherung wirtschaftlich weitgehend abgesichert. Verglichen mit den Standards in Bangladesch ist es Jammern auf hohem Niveau: immerhin zeigt die Langzeitstatistik, dass die Zahl der Arbeitsunfälle von Jahr zu Jahr abnimmt. Trotzdem: ein Mehr an Sicherheit auf den Baustellen würde uns gut tun. Ein höheres Arbeitssschutzniveau würde nicht nur die Risiken für schwere Unfälle mindern, sondern auch die Bauberufe insgesamt attraktiver für junge Menschen machen. Vor dem Hintergrund des demographi­schen Wandels und des akuten Fachkräftemangels im Baugewerbe ist dieses Argument aktueller denn je.

Autor: Paul Deder

Weitere Artikel:

Ihrer Zeit voraus

Ihrer Zeit voraus

Kürzlich erreichte mich die Meldung, dass ein mir bekanntes Unternehmen, das innovative Maschinen für die Baustelle entwickelt, beim zuständigen Amtsgericht Insolvenz anmelden musste. Acht Jahre nach der Gründung konnte der Technologieanbieter das prognostizierte Geschäftswachstum nicht erreichen. Auch wenn es durchaus Chancen gibt, dass im Rahmen des Konkursverfahrens Investoren für die Umsetzung eines Sanierungsplans gefunden werden können, zeigt dieser Fall das Manko vieler junger Unternehmen mit Visionen: Sie scheitern oft, weil sie ihrer Zeit voraus sind.

mehr lesen

Auf Schrumpfkurs

Auf Schrumpfkurs

Stark gestiegene Zinsen, hohe Inflation und Knappheiten in den Märkten – seit fast zwei Jahren büßen zahlreiche Weltregionen an Schwung ein. Deutschland zählt zu den größten Verlierern der aktuellen geopolitischen Spannungen. Schon im letzten Jahr ist unser Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt um 0,3 % gesunken. Und auch die Konjunkturvorhersagen des IWF für 2024 zeigen, dass es dem Land an Wachstumsimpulsen mangelt. In der Riege der größten Volkswirtschaften sind die Deutschen bei BIP-Prognosen nach dem krisengeplagten Argentinien Schlusslicht – mit einem Wachstum von lediglich 0,5 %.

mehr lesen

Das Mysterium Gen Z

Generation Z

Während sich die Babyboomer in den Ruhestand verabschieden und die Millennials Karriere machen, tritt die Generation Z langsam ins Rampenlicht. Bei den Arbeitgebern verbreiten die Digital Natives Angst und Schrecken: Trägheit und mangelnde Motivation werden ihnen nachgesagt, ebenso wie geringe Belastbarkeit und hohe Ansprüche. Millionen verwöhnter Gören und verzogener Bengel mit schlechter Arbeitsmoral, dafür aber einem Faible für Tofu, Gerechtigkeit und apokalyptische Endzeitszenarien. Wohnstandskinder, die ohne WLAN und bei leerem Akku apathisch werden, tagtäglich auf dem Sofa herumlümmeln und außerhalb der Online-Welt weder kommunikations- noch beziehungsfähig sind. Alles nur ein Klischee?

mehr lesen

Stürmische Zeiten

Stürmische Zeiten

Der Immobilienmarkt hat mit einer schwierigen Gemengelage zu kämpfen. Zum einen sind da die potenziellen Käufer, die trotz unterirdischer Rahmenbedingungen den Traum von den eigenen vier Wänden noch nicht aufgegeben haben. Nur sehr langsam kommt die Erkenntnis, dass sie sich bei der Wahl der Wunsch-Immobilie in Bescheidenheit üben müssen. Denn die Hoffnung, dass die Häuserpreise mangels potenter Abnehmer ins Bodenlose sacken, bleibt vorerst unerfüllt. Viele Verkäufer, die Anfang 2022 noch den Preis bestimmen konnten, sind nach wie vor nicht bereit, deutliche Abschläge für ihre Immobilien zu akzeptieren. Nach der Preiskorrektur für Bestandsobjekte aufgrund des Zinsanstiegs im letzten Jahr hat sich die Abwärtsbewegung der Immobilienpreise inzwischen spürbar verlangsamt.

mehr lesen

Paradigmenwechsel

Paradigmenwechsel

Die Kuh ist vom Eis. Nach monatelangem Streit zwischen den Ampel-Parteien, hitzigen Diskussionen auf den medialen Bühnen und großer Verunsicherung bei Eigentümern und Mietern hat der Bundestag das sogenannte Heizungsgesetz mit einer Mehrheit verabschiedet. Ab 2024 müssen in den meisten Neubauten Heizungen mit 65 % erneuerbarer Energie eingebaut werden, und auch für andere Gebäude ist der schrittweise Umstieg auf klimafreundliche Heizungen eingeläutet.

mehr lesen

(Un)pünktlich wie die Bahn

(Un)pünktlich wie die Bahn

Mitten in der Ferienzeit weckt ein aktueller Werbespot der Deutschen Bahn Lust auf Reisen. Ein breit grinsender, tiefenentspannter Bahnkunde lehnt sich zurück, schließt die Augen und genießt den Trip. „Weg von den Überstunden, weg vom Stau“ – Eine Bahnfahrt als unvergessliches Erlebnis mit magischen Landschaften außen und dem Komfort eines Fernzugs innen. Der Weg ist das Ziel! Die Realität sieht allerdings oft anders aus: Würde man den Schauspieler gegen einen echten Kunden austauschen, dann wäre sein Lachen eher hysterisch – als Ausdruck einer akuten Belastungsreaktion kurz vor dem Nervenzusammenbruch.

mehr lesen

Alibi-Programm

Alibi-Programm

Zwölf Jahre lang haben zahlreiche Akteure von der guten Baukonjunktur und boomenden Immobilienbranche profitiert. Seit dem zweiten Quartal 2022 ist die Party vorbei: Aus dem Verkäufer- ist ein Käufermarkt geworden, trotz des massiven Wohnraummangels sinkt die Nachfrage nach Wohnimmobilien spürbar. Der Auftragsbestand der Bauunternehmen schmilzt dahin, die Bauträger sind auf einmal gezwungen, Kaufinteressenten zu umwerben und auch für die ominösen Möchtegern-Makler, die sich trotz fehlender Fachkompetenz jahrelang die Taschen vollstopfen konnten, ist der Immobilienverkauf als Selbstläufer passe.

mehr lesen

KI: Chance oder Risiko?

KI: Chance oder Risiko?

Wir Menschen sind Perfektionisten – eine Eigenschaft, die aus evolutionärer Sicht  von entscheidender Bedeutung ist. Einst erreichte Standards werden immer und immer wieder in Frage gestellt, um die Latte für die Lebensqualität höher zu legen. Das hat dazu geführt, dass wir heute in einer völlig anderen Welt leben und sogar gerade dabei sind, künstliches Leben zu erschaffen. Wird die Künstliche Intelligenz (KI) zum Gamechanger oder droht uns eine digitale Revolution, die die Welt ins Chaos stürzt?

mehr lesen

Melkkuh der Nation

Melkkuh der Nation

Wir haben die Übeltäter! Endlich steht fest, wer für die verfehlten Klimaziele geradestehen und den radikalen Gesellschaftsumbau finanzieren muss. Nachdem der Gebäudesektor bei den erlaubten Jahresemissionsmengen erneut in rote Zahlen gerutscht ist, müssen die Immobilienbesitzer notfalls mit Brachialgewalt auf den vorgesehenen Dekarbonisierungspfad gebracht werden. Förderprogramme und Marktanreize? Sind teuer und der Erfolg ist schlecht planbar. Wer sich ein Haus leisten kann, sollte auch das nötige Kleingeld haben, um die klimapolitischen Versäumnisse der Großen Koalition auszubaden.

mehr lesen