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Gestalten statt jammern

Deutschland hat eine neue Regierung. Der peinlich-holprige Start ihres Chefs – erst im zweiten Durchgang gewählt – steht sinnbildlich für eine komplexe Zeit, die wir aktuell durchleben. Große Teile der Bevölkerung blicken mit Sorge in die Zukunft. Ein belastender Cocktail aus einem Krieg mitten in Europa, wirtschaftlichen Krisen, wachsender Unzufriedenheit mit der Politik, steigenden Lebenshaltungskosten und der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes erzeugt eine Unsicherheit, wie sie viele lange nicht mehr erlebt haben – oder gar nicht kannten.

Eine Gemengelage, die Populisten auf den Plan ruft, die Feindbilder bedienen und Niedergangsszenarien kreieren. Das Bedürfnis nach klaren Ansagen und starken Führungsfiguren wächst – selbst in vermeintlich stabilen Demokratien. Und das ist nachvollziehbar: Wenn traditionelle Politik zunehmend durch leere Versprechen und Symboldebatten auffällt und der Wille zur echten Veränderung hinter wohlformulierten Worthülsen verschwindet, gewinnen autoritäre „Anpacker“ an Attraktivität – selbst wenn ihre Positionen extrem und ihre Lösungen gefährlich sind. Plötzlich erscheinen ein Putin, ein Orban oder ein Trump als einzige „echte“ Alternative, um das eigene Volk zu vertreten. Und dort, wo Autokraten systembedingt keine Chance haben, einer gesamten Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken, gewinnen Rechtsaußen-Parteien an Einfluss – und feiern Wahlerfolge. Doch geht es uns wirklich so schlecht, dass wir bereit sind, unser Schicksal in die Hände von Radikalen zu legen?

Die Schlagzahl an Problemen und Herausforderungen ist zweifellos hoch. Neben den alles überschattenden politischen Spannungen verändert die KI unsere Welt – mit all ihren Chancen, aber auch Risiken für Branchen und Arbeitsplätze. Währenddessen zwingt uns der Klimawandel zu Einschränkungen und die Politik zu unpopulären Entscheidungen. Dennoch: Ein Zurück in die Vergangenheit ist nicht möglich, und Resignation hilft niemandem. Sicher müssen Kulturgüter und Werte, wo immer möglich, bewahrt und verteidigt werden. Doch der blinde Kampf gegen den Wandel – im Stil nostalgischer Parolen à la „Früher war alles besser“ – ist zum Scheitern verurteilt. Der Trend zur Digitalisierung, zur Energiewende, zum nachhaltigen Wirtschaften ist nicht aufzuhalten. Gleichzeitig ist es ebenso falsch, in blindem Aktionismus ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Vernunft eine radikale Neugestaltung über Nacht erzwingen zu wollen. Was gefragt ist, ist Augenmaß.

Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, mit einem hohen Maß an sozialer Sicherheit. Die Inflation ist weitgehend unter Kontrolle gebracht, und die Arbeitslosenquote liegt mit etwas über 6 % bei etwa der Hälfte dessen, was sie vor 20 Jahren betrug. Das subjektive Empfinden – und der darauf aufbauende Zukunftspessimismus – vermitteln jedoch ein anderes Bild. Dabei könnten wir aus eigener Kraft, unterstützt durch eine demokratisch gewählte Regierung, viel bewegen. Geben wir dieser neuen Regierung eine faire Chance – und das Vertrauen, bei zentralen Themen wie Zuwanderung Fortschritte zu erzielen, die CO2-Emissionen weiter zu senken und die europäische Souveränität aktiv zu stärken.

Ein Beispiel für Zukunftsmut war übrigens auf der bauma zu sehen und zu spüren: Zwar kann die Branche momentan nicht mit neuen Rekorden glänzen – doch der Blick nach vorn war von Optimismus geprägt. Nicht jammern, sondern gestalten – vielleicht lässt sich davon ja auch der eine oder andere Zweifler anstecken.

(Autor: Paul Deder)

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