Immer wieder fordern Gewerkschaften im Rahmen von Tarifverhandlungen eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit für ihre Mitglieder. Die allmächtige IG Metall drängt auf eine 32-Stunden-Woche, während die dauernervende GDL kürzlich ihre Forderung nach 35 Wochenstunden durchgesetzt hat. Doch schnell stellt sich die Frage: Wie wenig Arbeit kann sich eine schrumpfende Wirtschaftsmacht wie Deutschland leisten?
Ein Blick in die Statistik zeigt deutlich, dass unser tugendhaftes Selbstbild als fleißiges Volk längst nicht mehr gerechtfertigt ist: Mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34,7 Stunden machen uns nur noch die Dänen und Niederländer Konkurrenz in Punkto negative Arbeitsmoral. Vor 15 Jahren noch als faule Buh-Nation der Schuldenkrise abgestempelt, führen die Griechen heute mit einer 41-Stunden-Woche die europäische Rangliste an und arbeiten pro Kopf rund 650 Stunden mehr im Jahr als wir.
Wir beschäftigen uns lieber mit der Verbesserung der Work-Life-Balance – idealerweise mit einem nach Feng Shui ausgerichteten Arbeitsplatz. Während der demografische Wandel und der Fachkräftemangel eigentlich Diskussionen darüber anregen sollten, wie das Arbeitsvolumen im Land ausgeweitet werden kann, wird bei uns die flächendeckende Einführung der Vier-Tage-Woche heiß diskutiert. „Am Freitag gehört Vati mir“ wäre ein passender Slogan – angelehnt an den Schlachtruf der Gewerkschaften aus den 1950er Jahren. Auf dem Papier scheint dieses Konzept für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation darzustellen: Arbeitnehmer hätten mehr Zeit zur Regeneration, wären seltener krank und könnten Familie und Beruf besser miteinander verbinden. Arbeitgeber könnten wiederum von einer gesteigerten Produktivität und besseren Chancen bei der Fachkräftegewinnung profitieren. Allerdings müsste bei Beibehaltung der Wochenarbeitszeit die tägliche Arbeitszeit erhöht werden – eine ungesunde Arbeitsverdichtung, die sich in der Praxis vermutlich kontraproduktiv auswirken würde. Sollte die Vier-Tage-Woche jedoch mit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich einhergehen, wäre die Begeisterung der Arbeitgeber verständlicherweise begrenzt. In einem Land wie Deutschland, wo Unternehmen bereits unter hohen Lohnkosten und Sozialabgaben leiden, wäre eine Erhöhung des Stundenlohns um 25 % ökonomisch heikel und kaum finanzierbar.
Gesamtwirtschaftlich lässt sich eines mit Sicherheit sagen: Arbeiten alle weniger, sind Einkommens- und Wohlstandseinbußen die logische Konsequenz. Wir sind noch weit davon entfernt, dass die erhoffte Durchdringung der digitalen Revolution und Automatisierung uns „Siesta-Arbeitszeiten“ ermöglichen könnte, wie sie einst der Ökonom John Maynard Keynes prophezeite. Im Jahr 1930 sagte der Brite voraus, dass der technologische Fortschritt die durchschnittliche Arbeitswoche bis zum Jahr 2030 auf 15 Stunden reduzieren würde. Und damit lag er fundamental falsch. Er erkannte nicht, dass mit der Entwicklung der Gesellschaft auch die Zahl der Grundbedürfnisse steigt, die befriedigt werden müssen. Konsum gibt es nicht umsonst – mögen die Maschinen der Zukunft noch so klug sein.
Um den Wünschen und Bedürfnissen der Arbeitnehmer besser gerecht zu werden, sollte weniger über eine staatlich verordnete Vier-Tage-Woche diskutiert werden und stattdessen verstärkt über eine flexiblere Gestaltung des Arbeitsrechts. Die Bereitschaft der Unternehmen, sich auf neue Arbeitszeitmodelle einzulassen, zeigt sich bereits in ihrer Offenheit gegenüber Teilzeitarbeit und Homeoffice. Auf diese Weise könnten Menschen in jeder Lebensphase selbstbestimmt entscheiden, wie sie arbeiten möchten.
(Autor: Paul Deder)