Debatten und Vorträge über die Nachhaltigkeit im Baugewerbe stehen auf beinahe jeder Branchenveranstaltung als Must-have auf der Tagesordnung. Verständlich, denn der Rohstoffeinsatz im Bauwesen ist enorm: allein in Deutschland werden jährlich über 500 Mio. t an mineralischen Materialien verbaut. Folglich bietet dieser ressourcenintensive Wirtschaftszweig auch enorme Einsparpotenziale.
Und während die Branche unbeeindruckt weiter auf Klassiker wie Polystyrol, Mineralwolle, Beton und Stahl setzt, werden von der Industrie immer wieder Naturstoffe wie Stroh, Holz, Jute oder Schafwolle ins Spiel gebracht – als nachwachsende Lösung für die Ressourcenproblematik. Auch wenn diese ökologischen Alternativen schon von unseren Vorfahren fleißig eingesetzt wurden und daher kein echtes Novum darstellen, ist die Zeit reif für einen Umdenkprozess – auf Auftraggeberseite wie bei den Bauakteuren.
Zu den originellsten Lösungsansätzen für eine nachhaltigere Zukunft gehört auch das Popcorngranulat – eine Idee des Prof. Dr. Alireza Kharazipour von der Uni Göttingen, die ihm bei einem Kinobesuch kam. Schon die ersten Experimente zeigten, dass sich die zerkleinerten, aufgepoppten Maiskörner sehr gut für die Herstellung leichter Verbundwerkstoffe eignen. Zusammen mit der Firma Pfleiderer, einem führender Hersteller von Holzwerkstoffen, folgte die Entwicklung einer Spanplatte namens BalanceBoard, die zu rund zwei Dritteln aus Holzspänen und einem Drittel Popcorngranulat besteht. Genutzt wird der Werkstoff z. B. für Einbauküchen oder auch in der Inneneinrichtung von Kreuzfahrtschiffen.
Praktische Einsatzmöglichkeiten des Granulats hat der Professor aber auch im Baugewerbe gesehen – als eine Art umweltfreundliches Pendant zu Styropor-Platten. Die neueste Variante des Verbundwerkstoffs soll vollständig aus Popcorn bestehen und sich optimal zur Isolierung und Dämmung im Bau eignen. Wegen der geringen Wärmeleitfähigkeit (Lambda-Werte unter 0,040) verfügt der natürliche Werkstoff über hervorragende Dämmeigenschaften, soll aber auch bei Schalabsorption und Brandschutz punkten.
Lt. Kharazipour kann die „Popcorn-Platte“ mit den konventionellen Techniken bearbeitet werden und ist nach dem Ende der Lebenszeit gut recycelbar. Zudem ließen sich aufgrund des geringeren Gewichts beim Transport und bei der Verarbeitung der Platten Energie und Kosten sparen.
Das Unternehmen Bachl aus Röhrnbach wird nun seinen Beitrag dazu leisten, dass die Vorteile dieser nachhaltigen Materialalternative endlich auch auf der Baustelle ankommen. Die Unternehmensgruppe hat nämlich einen Lizenzvertrag mit der Universität Göttingen über die kommerzielle Nutzung des dort entwickelten Herstellungsverfahrens und der Produkte zur Dämmung abgeschlossen.
Der „Popcorn-Professor“ und Leiter der Forschungsgruppe in Göttingen freut sich über den Industriepartner: „Mit diesem neuen, an die Kunststoffindustrie angelehnten Verfahren lassen sich kosteneffizient Dämmplatten im Industriemaßstab herstellen.“ Die ersten Fertigungsanlagen sollen schon bald ihren Betrieb bei Bachl aufnehmen.
(Autor: Paul Deder)