Das Coronavirus hat weltweit zu einer schweren wirtschaftlichen Krise geführt. Am Baugewerbe schienen die Auswirkungen der Pandemie jedoch lange Zeit abzuperlen – von wirtschaftlichen Sorgen war in der Branche keine Spur. Umgekehrt: in einem zunehmend angespannten weltwirtschaftlichen Umfeld bildeten die Bauinvestitionen eine wesentliche Stütze für die deutsche Konjunktur. In der Addition der Jahre 2020 und 2021 legten die Bauinvestitionen im Baugewerbe preisbereinigt um 3,2 % zu. Nun stehen die Zeichen auf Kehrtwende.
Dem einstigen „Fels in der Brandung“ droht ein Ende des Booms. Nicht wenige Experten gehen davon aus, dass die deutsche Bauwirtschaft und die Bauzulieferindustrie vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte stehen.
Natürlich hat die bevorstehende Trendwende auch mit den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zu tun, genauso wie mit den Nachwehen der nicht enden wollenden Pandemie. Die Materialengpässe verschärfen sich weiter, die Preise für Materialien schnellen in bislang unbekannte Höhen. Weil überall am Bau Energie drin steckt – vom Betrieb der Baumaschinen bis zu der Dämmung am Mauerwerk – wird die Entwicklung der Energiepreise für viele Unternehmen zur Existenzfrage. In der Folge werden die Baukosten für die Auftraggeber unkalkulierbar: Die letzten vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen vom Baupreisindex 2022 weisen eine Steigerung der Neubaupreise von 17,6 % gegenüber Mai 2021 auf. Dies ist der höchste Anstieg der Baupreise gegenüber einem Vorjahr seit 1970. Hinzu gesellen sich steigende Finanzierungszinsen und eingeschränkte Fördermöglichkeiten, die auch den letzten Kaufinteressenten und Investoren die Stimmung verderben dürften. In Summe sorgt all das dafür, dass es gerade im Wohnungsbau zu Auftrags-Einbrüchen kommt. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage des Ifo-Instituts: über 11 % aller befragten Unternehmen waren im August von Auftragsstornierungen betroffen.
Die düsteren Perspektiven auf dem Bau sind aber auch hausgemacht. Weil alten Themen wie Fachkräftemangel, Klimawandel oder Digitalisierung zuvor nicht ausreichend Beachtung geschenkt wurde, fehlt es der Branche an Produktivität und Kapazitäten, um die aktuellen und künftigen Herausforderungen meistern zu können. In den letzten Jahren wurde es trotz guter Geschäfte schlicht versäumt, der Arbeit auf der Baustelle die gebotene Attraktivität zu verleihen. Nun herrscht fast überall Fachkräftemangel – allein im Berufsfeld Sanitär, Heizung und Klimatechnik ist nur jede fünfte offene Stelle besetzt. Nach Beobachtung der IG BAU leidet das Bauhandwerk stark unter der Abwanderung von Fachkräften in die Industrie: Nur vier von zehn Berufsstartern arbeiteten fünf Jahre nach der Gesellenprüfung noch auf dem Bau. Hinzu kommt der immer noch unterdurchschnittliche Digitalisierungswille der Branchenakteure. Die Studie „Digitalisierungsindex Mittelstand“ hat in diesem Jahr zum wiederholten Mal bestätigt, dass das Baugewerbe beim Thema Digitalisierung mit 53 von 100 möglichen Punkten zu den Nachzüglern im deutschen Mittelstand gehört. Zudem wird der Trend erkennbar, dass die Bauvorhaben immer komplexer und größer werden. Die Zahl beteiligter Parteien steigt und damit auch der Bedarf nach besserer Kostentransparenz und Planung. Auf der anderen Seite werden die Gebäude immer technisierter, es kommt zum Verschmelzen einzelner Gewerke, wie z. B. im Bereich des Heizungsbaus, der Elektroinstallation oder im Fassadenbau. All das ist mit der althergebrachten Herangehensweise nicht effizient und produktiv zu managen. Auch hier sollten die Potenziale durchgängiger digitaler Lösungen in Zukunft besser ausgeschöpft werden.
„Weiter so“ ist also keine tragfähige Lösung. Es ist Zeit, all die Themen anzupacken, die die Branche selbst in der Hand hat. Die kommende bauma greift die Trends auf – sowohl auf den Ständen der Aussteller, als auch innerhalb des begleitenden Rahmenprogramms. Also auf nach München! Jede Wette, dass auf der weltweit größten Baumesse kein Mangel an Inspiration für schwierige Zeiten herrschen wird!
Autor: Paul Deder