zum Newsletter anmelden
 

Fünf vor zwölf?

Die Bauindustrie ist eine der treibenden Motoren für unsere Konjunktur: Mehr als zehn Prozent des deutschen BIP werden für Baumaßnahmen verwendet. Besonders der Wohnungsbau florierte in der letzten Dekade – mit jährlichen Wachstumsraten im zweistelligen Bereich. Kein Wunder, denn die Finanzierungskonditionen waren attraktiv, die Realeinkommen stiegen und auch der Arbeitsmarkt entwickelte sich positiv. All das führte dazu, dass seit dem Ende der Finanzkrise die Zahl der genehmigten Wohnungsneubauten in Deutschland einen stetigen Anstieg verzeichnete, während sich der Preisindex für die Immobilien in diesem Zeitraum fast verdoppelte.

Sogar in der entbehrungsreichen Covid-Zeit trotzte die Branche den Herausforderungen der Krise und stützte mit steigenden Umsätzen die Gesamtwirtschaft des Landes. Nun aber verspürt auch das Baugewerbe einen Rückgang des Umsatzes und der Nachfrage: Von Januar bis April 2022 wurden rund 1,5 % weniger Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt als im Vorjahreszeitraum – der erste Dämpfer seit dem Jahr 2008.

Dass das Ende des Baubooms naht, hat sich schon früher abgezeichnet. Strukturelle Probleme wie der Mangel an bebaubarer Fläche oder das fehlende Fachpersonal in der Bauindustrie sorgten seit Jahren für einen deutlichen Nachfrageüberschuss auf dem Markt und führten in der Folge zu immer höheren Baupreisen. Mit der Corona-Krise kamen die steigenden Rohstoffpreise und Lieferengpässe hinzu, sodass man sich heute als Auftraggeber sowohl bei der Ausführung als auch beim Material auf monatelanges Warten einstellen muss. Der Ukraine-Krieg hat die ohnehin schon angespannte Lage noch weiter verschärft: Die Baukosten werden heute aufgrund der Verwerfungen auf den globalen Rohstoffmärkten und die ausufernden Energiepreise unkalkulierbar. Bekommt eine der stabilsten Branchen der Bundesrepublik nun Schlagseite? Zumindest im Bereich des Wohnungsneubaus rechnen die Experten mit einer Trendwende. Eine Umfrage bei den Mietgliedern des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) hat ergeben, dass die meisten Unternehmen ihre geplanten Projekte bereits zurückgestellt oder ganz aufgegeben haben. Fünf vor zwölf ist es für die Branche trotzdem noch nicht, denn immer noch übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem, weil es einen erheblichen Auftragsstau gibt. Bei vielen Bauunternehmen reicht das Auftragspolster bis ins Jahr 2023. Sollte die Zurückhaltung auf Kundenseite allerdings so bestehen bleiben, dann ist spätestens Ende des kommenden Jahres mit spürbaren Umsatzeinbrüchen bei den Bauprofis zu rechnen.

Auch wenn in den Ballungszentren der Bedarf nach Wohnraum weiterhin hoch ist, sind die Rahmenbedingungen für Bauherren so ungünstig wie schon lange nicht mehr. Die Bauzinsen haben sich in den vergangenen Monaten mehr als verdreifacht und werden wohl angesichts der Leitzins-Anhebung und der damit eingeläuteten Zinswende weiter steigen. Hinzu kommt die hohe, geldfressende Inflation, die angehenden Bauherren die eingeplante Finanzierung schier unmöglich macht. Zusammen mit dem Förderchaos der letzten Monate und den hohen Energiestandards bei Neubauten ist das von Beginn an schon illusorisch anmutende Ziel der Bundesregierung, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, in unerreichbare Ferne gerückt. Währenddessen herrscht bei den Förderbedingungen für den Sanierungsbereich Willkür mit dem Rotstift. Obwohl die Modernisierung des Gebäudebestands für die Klimawende von entscheidender Bedeutung sein dürfte, wird nun die staatliche Unterstützung für die energetische Bestandsertüchtigung gesenkt. Die Förderung der EH-100-Sanierungen werden z. B. komplett gestoppt, in anderen Kategorien sinken die Tilgungszuschüsse massiv. Was sich die Verantwortlichen durch eine derartige „Kastration“ der Fördermittel versprechen, ist vielen in der Branche ein Rätsel. Der dringend notwendigen Modernisierungswelle erweist die Politik jedenfalls einen Bärendienst: Angesichts der bislang niedrigen Sanierungsquote von einem Prozent müssen vielmehr weitere Anreize geschaffen werden, statt die Sanierungswillen von den Kopf zu stoßen.

(Autor: Paul Deder)

Weitere Artikel:

Stürmische Zeiten

Stürmische Zeiten

Der Immobilienmarkt hat mit einer schwierigen Gemengelage zu kämpfen. Zum einen sind da die potenziellen Käufer, die trotz unterirdischer Rahmenbedingungen den Traum von den eigenen vier Wänden noch nicht aufgegeben haben. Nur sehr langsam kommt die Erkenntnis, dass sie sich bei der Wahl der Wunsch-Immobilie in Bescheidenheit üben müssen. Denn die Hoffnung, dass die Häuserpreise mangels potenter Abnehmer ins Bodenlose sacken, bleibt vorerst unerfüllt. Viele Verkäufer, die Anfang 2022 noch den Preis bestimmen konnten, sind nach wie vor nicht bereit, deutliche Abschläge für ihre Immobilien zu akzeptieren. Nach der Preiskorrektur für Bestandsobjekte aufgrund des Zinsanstiegs im letzten Jahr hat sich die Abwärtsbewegung der Immobilienpreise inzwischen spürbar verlangsamt.

mehr lesen

Paradigmenwechsel

Paradigmenwechsel

Die Kuh ist vom Eis. Nach monatelangem Streit zwischen den Ampel-Parteien, hitzigen Diskussionen auf den medialen Bühnen und großer Verunsicherung bei Eigentümern und Mietern hat der Bundestag das sogenannte Heizungsgesetz mit einer Mehrheit verabschiedet. Ab 2024 müssen in den meisten Neubauten Heizungen mit 65 % erneuerbarer Energie eingebaut werden, und auch für andere Gebäude ist der schrittweise Umstieg auf klimafreundliche Heizungen eingeläutet.

mehr lesen

(Un)pünktlich wie die Bahn

(Un)pünktlich wie die Bahn

Mitten in der Ferienzeit weckt ein aktueller Werbespot der Deutschen Bahn Lust auf Reisen. Ein breit grinsender, tiefenentspannter Bahnkunde lehnt sich zurück, schließt die Augen und genießt den Trip. „Weg von den Überstunden, weg vom Stau“ – Eine Bahnfahrt als unvergessliches Erlebnis mit magischen Landschaften außen und dem Komfort eines Fernzugs innen. Der Weg ist das Ziel! Die Realität sieht allerdings oft anders aus: Würde man den Schauspieler gegen einen echten Kunden austauschen, dann wäre sein Lachen eher hysterisch – als Ausdruck einer akuten Belastungsreaktion kurz vor dem Nervenzusammenbruch.

mehr lesen

Alibi-Programm

Alibi-Programm

Zwölf Jahre lang haben zahlreiche Akteure von der guten Baukonjunktur und boomenden Immobilienbranche profitiert. Seit dem zweiten Quartal 2022 ist die Party vorbei: Aus dem Verkäufer- ist ein Käufermarkt geworden, trotz des massiven Wohnraummangels sinkt die Nachfrage nach Wohnimmobilien spürbar. Der Auftragsbestand der Bauunternehmen schmilzt dahin, die Bauträger sind auf einmal gezwungen, Kaufinteressenten zu umwerben und auch für die ominösen Möchtegern-Makler, die sich trotz fehlender Fachkompetenz jahrelang die Taschen vollstopfen konnten, ist der Immobilienverkauf als Selbstläufer passe.

mehr lesen

KI: Chance oder Risiko?

KI: Chance oder Risiko?

Wir Menschen sind Perfektionisten – eine Eigenschaft, die aus evolutionärer Sicht  von entscheidender Bedeutung ist. Einst erreichte Standards werden immer und immer wieder in Frage gestellt, um die Latte für die Lebensqualität höher zu legen. Das hat dazu geführt, dass wir heute in einer völlig anderen Welt leben und sogar gerade dabei sind, künstliches Leben zu erschaffen. Wird die Künstliche Intelligenz (KI) zum Gamechanger oder droht uns eine digitale Revolution, die die Welt ins Chaos stürzt?

mehr lesen

Melkkuh der Nation

Melkkuh der Nation

Wir haben die Übeltäter! Endlich steht fest, wer für die verfehlten Klimaziele geradestehen und den radikalen Gesellschaftsumbau finanzieren muss. Nachdem der Gebäudesektor bei den erlaubten Jahresemissionsmengen erneut in rote Zahlen gerutscht ist, müssen die Immobilienbesitzer notfalls mit Brachialgewalt auf den vorgesehenen Dekarbonisierungspfad gebracht werden. Förderprogramme und Marktanreize? Sind teuer und der Erfolg ist schlecht planbar. Wer sich ein Haus leisten kann, sollte auch das nötige Kleingeld haben, um die klimapolitischen Versäumnisse der Großen Koalition auszubaden.

mehr lesen

Augen zu und durch?

Augen zu und durch

Blickt man auf die baukonjunkturelle Lage in der Republik, dann stellt man sich zwei Fragen: Kommen die relevanten Branchenindikatoren beim Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen an und wenn ja – wann ist mit dem Erwachen des größten Bauherren Deutschlands aus der Lethargie zu rechnen? Es ist nämlich nicht lange her, dass die Ampel-Koalition sich heroisch auf die Brust schlagend versprach, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Fertiggestellt wurden im vergangenen Jahr rund 275.000 Wohneinheiten, etwa 250.000 sind für 2023 zu erwarten.

mehr lesen

Überreguliert

Überreguliert

Kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine haben wir Geflüchtete aus Odessa in unserem Haus aufgenommen. Die dreiköpfige Familie, die wenige hundert Meter von einem Militärstützpunkt entfernt lebte, hat bereits in der ersten Nacht des Angriffs die volle Brutalität des Krieges hautnah miterlebt. Bei uns angekommen, fanden sie schließlich den herbeigesehnten Schutz eines freiheitlichen Rechtsstaates. Doch schon beim ersten Behördengang wurde uns klar, dass die suggerierte, grenzenlose Solidarität am Bürokratie-Fels des staatlichen Verwaltungsapparates zu zerschellen droht.

mehr lesen

Vom Boom in die Vollbremsung?

Vom Boom in die Vollbremsung

Die Konjunktur ist ein Auf und Ab. Mal geht es volkswirtschaftlich nach oben, mal tritt eine konjunkturelle Abkühlung ein. Nach zehn Jahren BIP-Wachstum in Folge ging 2020 die Wirtschaftsleistung Deutschlands erstmals zurück. Doch nicht im Bauhauptgewerge: hier stieg der Jahresumsatz um 4,9 % gegenüber dem Vorjahr, ein Jahr später gab es eine weitere Steigerung um immerhin 1,0 %. In der Krise hat sich unsere Branche erneut als widerstandsfähig gezeigt, doch der diesjährige toxische Mix aus Preissteigerungen, Lieferschwierigkeiten, Zinserhöhungen und steigenden Lebenshaltungskosten für die Verbrauchen bringt nun auch die Bauwirtschaft ins schwierige Fahrwasser.

mehr lesen