Ach, waren das noch Zeiten, als man sich noch über die Maskenpflicht aufgeregt, nach Lockerungen gesehnt und auf der Suche nach etwas Normalität insgeheim die auferlegten Kontaktsperren missachtet hat. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges scheint das Thema „Corona“ kaum eine Rolle zu spielen. Nun dreht es sich nicht mehr um einen kleinen, unsichtbaren Feind, der manch einen Aluhutträger zu wilden Theorien und rhetorischen Höchstleistungen motivieren konnte. Die Gefahr ist nun konkreter.
Die Bilder von Kriegstechnik, Leid und Zerstörung lassen wenig Interpretationsspielraum. Bei dem Ausmaß der Brutalität am Tatort „Ukraine“, die sich nur ansatzweise von einem behüteten Mitteleuropäer vorstellen lässt, wünscht man sich die Unwägbarkeiten der pandemischen Lage zurück – als das deutlich kleinere Übel.
Nun sehen wir uns mit Problemen einer ganz anderen, schlimmeren Dimension konfrontiert. Wie entwickelt sich diese undurchsichtige Lage wenige hundert Kilometer von der EU-Grenze entfernt? Steht Europa eine tiefgreifende Destabilisierung bevor? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eines Dritten Weltkriegs oder gar eines atomaren Einsatzes? Auch ohne das Endspielszenario macht sich die Existenzangst breit. Auch wenn sich die Kriegshandlungen ausschließlich auf das ukrainische Territorium konzentrieren, bringt der Konflikt einige Begleiterscheinungen mit sich, die unser aller Leben beeinflusst und nachhaltig verändern wird. Dieser Krieg ist eine geopolitische Zeitenwende, die bisher geltende europäische und internationale Sicherheitsordnung muss nun neu justiert werden. Das westliche Selbstverständnis, Konflikte eines Tages in Win-Win-Situationen umzuwandeln, hat keine Gültigkeit mehr.
Von den ersten Tagen des Krieges an spüren wir, welche Machtstellung Russland als Energielieferant Europas hat. Vom Öl-Embargo angetrieben, schießt der Ölpreis durch die Decke und liegt Anfang Juni rund 113 % höher als noch im Jahr davor. Auch an der Gasbörse haben die neuesten Entwicklungen zu exorbitanten Preissprüngen beigetragen, sodass sich der durchschnittliche Gaspreis innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt hat. Noch dramatischer ist die Lage auf dem Strommarkt. Hier kostet eine Megawattstunde Strom inzwischen 174 Euro, was einem Plus von 241 % im Jahresvergleich entspricht. Dadurch müssen nicht nur die Verbraucher dieses Jahr tiefer in die Tasche greifen: Die hohen Energiekosten belasten auch die Industrie. In Verbindung mit den anhaltenden Lieferschwierigkeiten sehen viele Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit bedroht.
Auch an der Bauwirtschaft geht der Kelch „Kostenexplosion“ nicht vorüber. Die massiv gestiegenen Energiepreise lassen die Branche pessimistisch in die Zukunft blicken – und das bei immer noch vollen Auftragsbüchern. Denn fast die Hälfte der benötigten Energie für Baumaschinen und -geräte entfällt auf den Dieselkraftstoff. Hinzu kommen die gestiegenen Preise für Baumaterialien wie z. B. Stahl, Bitumen, Asphalt, Zement oder Holz. Dabei hat es nur jeder zweite Bauunternehmer geschafft, sich mit dem Auftraggeber auf eine Preisgleitung zu einigen, um auf den steigenden Kosten nicht sitzen zu bleiben. All das hat dafür gesorgt, dass die Deutsche Bauindustrie ihre Konjunktur-Prognose für 2022 kürzlich nach unten korrigiert hat. Trotz fulminanten Starts ins neue Jahr mit einem realen Umsatzplus von 9 % wird nun mit bescheidenen Null bis minus zwei Prozent gerechnet – falls es im Jahresverlauf nicht zu weiteren preistreibenden Verschärfungen kommt.
Auch wenn sich die Inflation eines Tages legt, bleibt für die Bauwirtschaft die herausfordernde Aufgabe, die bestehende Rohstoffstrategie kritisch zu hinterfragen, um bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren. Nur so kann sich eine gesunde Branche auch unter widrigen Rahmenbedingungen behaupten.
(Autor: Paul Deder)