Die Bauarbeiter leben gefährlich. Ihre Arbeitsplätze befinden sich nicht selten weit oben, auf steilen Dächern und nah an Gebäudekanten, wo stets das Risiko eines Absturzes lauert. Doch auch Beschäftigte, die abseits des Adrenalinkicks ihrer Arbeit nachgehen, sind nicht automatisch „aus dem Schneider“: Herabfallende Baumaterialien und Werkzeuge können ebenso zu einer Gefahr werden. Nicht tragfähige Bauteile, kaputte Leitern, unzureichende persönliche Schutzausrüstung, fehlende Geländer und falsche Gerüstmontage fordern immer wieder ihren Tribut.
Schlechte Witterung, fehlende Koordination der Gewerke untereinander und mangelnde Kommunikation der oftmals aus unterschiedlichen Nationen stammenden Beschäftigten treiben die Unfallrate noch weiter in die Höhe. Gefahren birgt auch die Technik auf der Baustelle, die eigentlich den Arbeitsalltag der Arbeiter entlasten soll. Nachlässigkeit oder falsches Bedienen von Baugeräten wie Kreissägen, Trennschleifern oder Bohrmaschinen kann schmerzhafte Folgen nach sich ziehen. Noch gefährlicher wird es dort, wo auf engstem Raum Lkws rangieren, quirlige Radlader im Load-and-Carry-Einsatz unterwegs sind und Bagger bei der Arbeit unentwegt Pirouetten drehen. Begegnungen mit Beschäftigten, die in diesen Bereichen zu Fuß unterwegs sind, enden meistens mit schweren oder gar tödlichen Verletzungen.
Während im Büro ein auf die Hose verschütteter Kaffee, ein Zusammenstoß mit dem unbeliebten Personalchef auf der Treppe oder das Stolpern über das Druckerkabel zu den Worst-Case-Szenarien schlechthin zählen, wiegen die Folgen einer Unachtsamkeit auf der Baustelle ungleich schwerer. Kein Wunder also, dass in der Bauwirtschaft mehr Unfälle passieren als anderswo in der Berufswelt. Nach der Bekanntmachung der Berufsgenossenschaft Bau (BG Bau) lag die Anzahl der meldepflichtigen Unfälle im Jahr 2022 bei 99.380 – Wegeunfälle nicht mitgezählt. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, weil gerade kleinere Unfälle nicht gemeldet und Zwischenfälle mit Schwarzarbeitern gerne unter den Teppich gekehrt werden. Auch wenn die Anzahl der Arbeitsunfälle in der Bauwirtschaft erstmals auf unter 100.000 zurückgegangen ist, stirbt alle fünf Tage eine Person auf der Baustelle: 74 Beschäftigte waren es im Jahr 2022. Eine hohe Zahl, die auf die Leichtfertigkeit zurückzuführen ist, die Augen vor lauernden Gefahren zu verschließen, genauso wie auf den herrschenden Zeitmangel und Kostendruck, die zu einer Vernachlässigung von Schutzmaßnahmen am Einsatzort führen. Daher ist es kein Wunder, dass bei Kontrollen der Gewerbeaufsichtsämter regelmäßig gravierende Mängel festgestellt werden, die zu einer Einstellung der Arbeiten führen.
Seit den Anfängen des Wolkenkratzerbaus mit den New Yorker „Skywalkern“ bis heute hat sich vieles geändert. Während früher die eigene Schwindelfreiheit der Arbeiter die wohl wichtigste Lebensversicherung war, sorgen heute Baustellenverordnungen und Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes dafür, dass die Jobs am Bau immer sicherer werden. Die Verantwortung dafür liegt in erster Linie bei den Betrieben: Durch das Bereitstellen sicherer Arbeitsmittel, regelmäßige Unterweisungen und das Tragen von persönlicher Schutzausrüstung können Unfälle und ihre Folgen verhindert werden. Das Unfallrisiko lässt sich jedoch schon vor dem Start der Baumaßnahme mindern – zum Beispiel durch den Einsatz vorgefertigter Bauteile, die den Anteil an gefährlicher Arbeit vor Ort reduzieren. Durch die Digitalisierung der Baustellen mittels BIM und Virtual-Reality-Anwendungen können digitale Abbilder der Bauprojekte erstellt und gefährliche Bereiche frühzeitig erkannt und entschärft werden. Den Baubetrieben sollte jedes Mittel recht sein, schließlich verursacht jeder Unfall erhebliche Kosten und Schäden – für alle Beteiligten.
(Autor: Paul Deder)