Sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten, ist unser aller Wunsch. Doch die eigene Erfahrung zeigt, dass Selbstbestimmung ohne Einwirkungen von außen so gut wie unmöglich ist. Unsere individuellen Entscheidungen werden von der Gesellschaft beeinflusst; wir sind und werden von unserer Umwelt geprägt – und das von Kindesalter an. Schon in der Schule begeben wir uns auf die Suche nach einer Gruppe, der wir uns zugehörig fühlen. Der Veränderungsprozess kann zügig einsetzen: Ob bei den Strebern, den Coolen, den Sportskanonen oder den Modefreaks – für den Halt der Gruppe gibt man einen Teil der eigenen Persönlichkeit auf und fängt an, sich der Mehrheit zu beugen.
Bei einem Erstklässler führt das schon mal dazu, dass die Spider-Man-Deko im Kinderzimmer von heute auf morgen total „out“ ist und die bislang beliebten Brettspiele spätestens zum nächsten Geburtstag einer Spielkonsole weichen müssen. Da leidet nicht nur die Haushaltskasse der Erziehungsberechtigten darunter – die Vorstellung, mit einem Siebenjährigen wohl bald nur noch digitale Wettkämpfe auszutragen, verdirbt einem gehörig das allabendliche Familienidyll.
Mit zunehmendem Alter wirken äußere Faktoren noch ungezügelter auf uns ein. Bei Jugendlichen erreicht der Grad der Fremdbestimmung seinen Höhepunkt: Wie eine repräsentative Umfrage des Apothekenmagazins „Baby und Familie“ ergab, kaufen 46,7 % der 14- bis 19-Jährigen manche Dinge nur deshalb, weil dies auch ihre Freunde oder Bekannten tun. Doch auch Erwachsene, die – so scheint es – mit beiden Beinen im Leben stehen, lassen sich bewusst oder unbewusst „fernsteuern“. Haben enge Freunde in eine Immobilie investiert, die Wohnung neu möbliert oder ein neues Auto gekauft? Dann wird es höchste Zeit, den eigenen Status quo zu hinterfragen. Wir lassen uns mitreißen und treffen womöglich Entscheidungen, zu denen wir selbst nicht hundertprozentig stehen. Logisch: auch bei den Mittdreißigern gilt es, den Anschluss zur Gruppe nicht zu verlieren. Der Gruppenzwang schweißt uns zusammen, sorgt für gleiche Interessen und Lebensstile und bildet dadurch eine Basis, auf der langjährige Freundschaften Bestand haben können. Eifrig versuchen wir, fünfhundert Freunde auf Facebook zusammenzubekommen, weil sich das so gehört und feiern im Februar brav den Valentinstag mit, obwohl diese Romantik auf Kommando sicherlich nur eine fiese Masche der Floristen und Parfümeure ist. Noch mehr als im Privaten ist man in der Wirtschaft dem Diktat der Gemeinschaft unterworfen. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Finanzkrise vor zehn Jahren, bei der so gut wie alle Banken in ihrer Geschäftspraxis immer größere Risiken eingingen. Selbst hochkarätige Fachleute ordneten sich in dieser Phase der Gruppennorm unter und orientierten sich an zweifelhaften Strategien anderer. Ein Herdenverhalten, das in eine Katastrophe mündete.
Sind auch Bauakteure dem Gruppenzwang ausgesetzt? Gewissermaßen – weil man sich als Unternehmer in einer Wettbewerbssituation befindet. Im Stillen und völlig selbstbestimmt seinen eigenen Weg zu gehen, gelingt nur wenigen. Lokale und regionale Bauunternehmen müssen sich gegen mittelständische Mitbewerber behaupten: Das Leistungsportfolio der Marktbegleiter muss bekannt, das Tempo der eigenen Professionalisierung daran angepasst sein, um zumindest Schritt halten zu können. Durch Spezialisierung und passgenaue Lösungen kann man sich vom Wettbewerb abheben und sich von der Vergleichbarkeit in der Branche lösen. Angesichts der technischen Weiterentwicklungen im Baubereich – Stichwort „digitale Baustelle“ – müssen sich Unternehmer auch den aktuellen Trends der Branche widmen. Im Zweifel auch aus Gruppenzwang heraus: wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, gefährdet als Nachzügler den eigenen wirtschaftlichen Erfolg.
Autor: Paul Deder