zum Newsletter anmelden
 

Raus aus dem kreativen Loch

Seit jeher sind Existenzgründer von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung. Mit Fachkompetenz und einer guten Portion Leidenschaft für die erfolgreiche Umsetzung eigener Ideen ausgestattet, beleben die beruflichen Selbstständigen den Wettbewerb. Sie halten etablierte Unternehmen auf Trab und sind in der Lage, die trägen Firmen vom Markt zu drängen. Sogar in traditionellen Branchen im Handel, Handwerk oder in der gewerblichen Wirtschaft tragen sie dazu bei, die Latte höher zu legen und dadurch sowohl die althergebrachten Strukturen zu modernisieren als auch die Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu fördern.

Relativ neu in diesem Zusammenhang ist die Start-up-Szene. Der Unterschied zu anderen Existenzgründern: sie bedienen keinen bewährten Markt, sondern versuchen, in einem Umfeld relativer Ungewissheit sinnvolle und wirtschaftlich tragbare Lösungen zu entwickeln. Und diese werden dringend benötigt, weil die Welt auf Innovationen für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft angewiesen ist. Händeringend wird nach Ideen für klimaschonendes Leben gesucht, nach Konzepten für die wirkungsvolle digitale Transformation der Wirtschaft genauso wie nach Strategien für die Bewältigung des demografischen Wandels, der die Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt nachhaltig verändern wird.

Um diese Veränderungsprozesse mit zu gestalten, bedarf es junger, mutiger Unternehmen, die den Blick über den Tellerrand riskieren. Daher gelten die Start-ups heute als Motor des Wandels. Und hier wird ein gravierender Mangel offenkundig: Deutschland hat einen Rückgang von Existenzgründungen zu beklagen. Während 2002 noch ca. 1,5 Mio. neue Firmen angemeldet wurden, markierte das Jahr 2020 mit 537.000 Gründungen einen neuen Tiefpunkt. Allein im Corona-Jahr haben sich 68.000 weniger Menschen selbstständig gemacht als 2019, was sicher auch mit hoher wirtschaftlicher Unsicherheit im Umfeld der Pandemie und mangelnder Planungssicherheit zu tun hatte. Die langfristige Betrachtung macht jedoch deutlich, dass es sich dabei um einen grundsätzlichen Trend handelt: In Deutschland hat sich im Vergleich zu anderen großen Wirtschaftsnationen bisher keine Gründerkultur etablieren können. Mit allen daraus folgenden Gefahren für die zukünftige ökonomische Entwicklung des Landes.

Die Corona-Krise hat die Gründer-Misere also nur weiter verstärkt. Die von der Regierung ergriffenen Unterstützungsmaßnahmen in der Pandemie sind allem guten Willen zum Trotz nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das Problem ist und bleibt die dünne Kapitaldecke der jungen Firmen und das Fehlen passender Finanzierungsinstrumente für die Bedürfnisse von Start-ups. Der schwierige Zugang zu Risikokapital in Deutschland ist der Grund, wieso es die Existenzgründer in den USA, Israel oder Großbritannien einfacher haben, Fuß zu fassen. Nun ist es ja nicht so, dass Deutschland keine kreativen Ideen mehr hervorbringt: Bei Patentanmeldungen gehören wir zur internationalen Spitze und können durch die Erfolgsgeschichten von Biontech und Curevac hochaktuelle Beispiele für unsere Innovationskraft nachweisen. In der Breite fußt diese allerdings eher auf der Leistungsfähigkeit gut finanzierter F&E-Abteilungen der Großkonzerne sowie staatlicher Forschungsinstitutionen denn auf der Kreativität begnadeter Uni-Abgänger, die sich mit einer revolutionären Idee selbstständig machen.

Natürlich resultiert der Rückgang der Gründungen zu einem Teil auch auf der stabilen Beschäftigungssituation in der deutschen Wirtschaft. Trotzdem braucht unsere alternde Gesellschaft mehr schlaue Köpfe mit Mut zur Selbstständigkeit. Es muss wieder mehr ausprobiert werden, um unser Land wirtschaftlich breiter aufzustellen, denn wir können weitaus mehr als nur „Chemie“ und „Auto“. Weniger bürokratische Hürden, Anreize für mehr Wagniskapital und ernst gemeinte staatliche Förderprogramme könnten dem Abwärtstrend bei Unternehmensgründungen entgegenwirken.

(Autor: Paul Deder)

Weitere Artikel:

Kommentar
Gestalten statt jammern
Gestalten statt jammern
Gestalten statt jammern

Deutschland hat eine neue Regierung. Der peinlich-holprige Start ihres Chefs – erst im zweiten Durchgang gewählt – steht sinnbildlich für eine komplexe Zeit, die wir aktuell durchleben. Große Teile der Bevölkerung blicken mit Sorge in die Zukunft. Ein belastender Cocktail aus einem Krieg mitten in Europa, wirtschaftlichen Krisen, wachsender Unzufriedenheit mit der Politik, steigenden Lebenshaltungskosten und der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes erzeugt eine Unsicherheit, wie sie viele lange nicht mehr erlebt haben – oder gar nicht kannten.

Kommentar
Befreiungsschlag
Befreiungsschlag?
Befreiungsschlag

Da ist sie wieder – die Messe, die alle drei Jahre die Branche aufmischt und bei vielen Entscheidern sowie „Technikfreaks“ im Bauwesen fest im Kalender steht. Die bauma ist für Hersteller von Baugeräten, Baumaschinen und Nutzfahrzeugen DIE Bühne, um ihre Innovationskraft unter Beweis zu stellen und Bauunternehmen Wege in eine erfolgreiche Zukunft aufzuzeigen. Doch wie schon 2022 findet die weltweit größte Leistungsschau erneut in herausfordernden Zeiten statt.

Kommentar
Die Qual der Wahl
Die Qual der Wahl
Die Qual der Wahl

Selten steht eine Bundestagswahl so emotional aufgeladen bevor wie diese. Selten hat ein einziges Kreuz auf dem Wahlzettel ein so großes Potenzial, die Zukunft Deutschlands nachhaltig zu prägen. Und selten wird eine neue Regierung vor größeren Herausforderungen und einer schwereren Bürde an Aufgaben stehen als im Wahljahr 2025.

Kommentar
Verlorenes Potenzial
Verlorenes Potenzial
Verlorenes Potenzial

Die Produktivität – also die Wertschöpfung pro Arbeitnehmer oder Arbeitsstunde – zählt zu den zentralen Kennzahlen jedes erfolgreichen Unternehmens und jeder Branche. Ein Bereich, der in Deutschland jedoch seit Jahrzehnten als Sorgenkind gilt, ist das Bauhauptgewerbe. Statt kontinuierlich zu wachsen, hat sich hier das Verhältnis von Output zu Input erheblich verschlechtert: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes sank die Arbeitsproduktivität im Baugewerbe zwischen 1991 und 2023 um alarmierende 23 %. Im gleichen Zeitraum stieg die Arbeitsproduktivität in der Gesamtwirtschaft um 46 % und im verarbeitenden Gewerbe sogar um 103 %. 

Kommentar
Teure Fehler
Teure Fehler
Teure Fehler

Menschen machen Fehler, und das ist gut so. Denn nur mit Mut können wir uns auch gegen den Strom bewegen und vermeintlich falsche Wege einschlagen. Trial and Error ist als Alternative zum Stillstand zwar nicht risikolos, doch eröffnet es Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und bietet die Chance, künftig Dinge besser zu machen. Schon in der Antike erkannte der Philosoph Seneca den Wert eines reflektierten Umgangs mit Fehlern und formulierte mit seinem Zitat „Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu beharren ist teuflisch“ einen wichtigen Ansatz für das Fehlermanagement. In modernen, progressiven Unternehmen gehört es heute zum guten Ton, Misserfolge nicht unter den Teppich zu kehren, sondern sie gezielt zu analysieren, um Produkte und Prozesse nachhaltig zu verbessern.

Kommentar
Mehr Life als Work?
Mehr Life als Work?
Mehr Life als Work?

Immer wieder fordern Gewerkschaften im Rahmen von Tarifverhandlungen eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit für ihre Mitglieder. Die allmächtige IG Metall drängt auf eine 32-Stunden-Woche, während die dauernervende GDL kürzlich ihre Forderung nach 35 Wochenstunden durchgesetzt hat. Doch schnell stellt sich die Frage: Wie wenig Arbeit kann sich eine schrumpfende Wirtschaftsmacht wie Deutschland leisten?

Kommentar
Politische Kuchenverteilung
Politische Kuchenverteilung
Politische Kuchenverteilung

Ist einmal die wilde Zeit des Single-Daseins vorbei und die Gründung einer Familie vollzogen, dann nimmt zumindest beim „Otto-Normalverdiener“ die allmonatliche Rechnerei des Haushaltsplans ihren Lauf. Dabei gestaltet sich die sorgfältige Verteilung des Familienbudgets heutzutage vermutlich etwas schwieriger als noch vor einigen Jahren. Hohe Energiekosten, schwindelerregende Mietanstiege und Lebensmittelpreise, die mehr zum Fasten als zum Schlemmern einladen, reißen enorme Löcher ins Haushaltsbudget. Ob nach Abzug aller verpflichtenden und notwendigen Ausgaben noch Geld für Kleidung, Hobbies, Urlaub, Mamas Beauty- und Papas Kumpeltour übrig bleiben – fraglich.

Kommentar
Risiko Baustelle
Risiko Baustelle
Risiko Baustelle

Die Bauarbeiter leben gefährlich. Ihre Arbeitsplätze befinden sich nicht selten weit oben, auf steilen Dächern und nah an Gebäudekanten, wo stets das Risiko eines Absturzes lauert. Doch auch Beschäftigte, die abseits des Adrenalinkicks ihrer Arbeit nachgehen, sind nicht automatisch „aus dem Schneider“: Herabfallende Baumaterialien und Werkzeuge können ebenso zu einer Gefahr werden. Nicht tragfähige Bauteile, kaputte Leitern, unzureichende persönliche Schutzausrüstung, fehlende Geländer und falsche Gerüstmontage fordern immer wieder ihren Tribut.

Kommentar
Vertrauensverlust
Vertrauensverlust
Vertrauensverlust

„Wir verpflichten uns, dem Wohle aller Bürgerinnen und Bürger zu dienen“, stand in der Präambel des Koalitionsvertrags, den die frisch gewählte rot-gelb-grüne Bundesregierung 2021 als ihr Rezept für ein erfolgreiches und modernes Deutschland beschlossen hat. Die Grundlage für die deutsche Politik der kommenden vier Jahre trägt den markigen Titel „Mehr Fortschritt wagen“. Die Ambitionen scheinen daher klar umrissen und fanden zu Beginn der Legislaturperiode auch Zuspruch, denn Fortschritt steht für Verbesserung, Erleichterung und Wohlstand – Aspekte, die sich die pandemiemüde Bevölkerung sehnlichst gewünscht hat.