Von allen Baumaterialien ist Beton seit Jahren die unangefochtene Nummer eins. Dieses von Menschen komponierte Baustoffgemisch ist dank seiner besonderen Eigenschaften zum Grundstoff des Bauens geworden. Im nassen Zustand ist der Beton frei formbar und macht es möglich, auch die spektakulärsten architektonischen Ideen umzusetzen. Er brennt nicht, ist witterungsbeständig und widerstandsfähig – sowohl chemisch als auch physikalisch. Zudem ist er preiswert und einfach zu verarbeiten, was ihn zu einem Universalwerkstoff macht. Sein wohl wichtigster Trumpf ist seine enorme Druckfestigkeit: Hochfeste Betone halten Belastungen bis zu 2,5 t pro cm² stand. Das ermöglicht u. a. die Errichtung hoher Bauwerke sowie filigraner bzw. hoch beanspruchter Bauteile wie Stützen oder Brückenpfeiler.
Die Achillesferse des Betons ist seine geringe Zugfestigkeit – bei Zugspannungen kann auch die robusteste Rezeptur den Kräften nicht standhalten und dies kann zu Rissen im Kunststein führen. Daher wird bei der Verarbeitung von Beton meistens auf eine Bewehrung aus Stahl zurückgegriffen. Im Stahl- und Spannbeton übernimmt sie diese Kräfte und erhöht so die Zugfestigkeit des Verbundwerkstoffs. Der Markt bietet aber auch nichtmetallische Bewehrungen aus Carbon- oder Glasfasern, die den Bau schlanker, leichter und trotzdem dauerhafter Betonbauteile ermöglichen.
Um die Umweltbilanz im Bauwesen zu verbessern, haben Forscher nun eine ökologische Alternative zu konventionellen Stahlbewehrungen und synthetisch erzeugten Fasern entdeckt: Wissenschaftler des Fraunhofer WKI haben gemeinsam mit der Hochschule Biberach und dem Industriepartner Fabrino nachgewiesen, dass Textilbetonteile mit einer nachhaltigen Naturfaserbewehrung, wie z. B. Flachs, ein ausreichendes Verbund- und Zugtragverhalten für den Einsatz im Bau haben.
„Wir haben am Fraunhofer WKI mit einer Webmaschine Drehergewebe aus Flachsfasergarn hergestellt. Um die Nachhaltigkeit zu erhöhen, haben wir eine Behandlung der Flachsgarne zur Verbesserung der Zugfestigkeit, Dauerhaftigkeit und Verbundhaftung erprobt, die im Vergleich zu petrobasierten Behandlungen ökologisch vorteilhafter ist“, erläutert Jana Winkelmann, Projektleiterin am Fraunhofer WKI in Braunschweig.
Textile Bewehrungen haben grundsätzlich eine Reihe von Vorteilen. So weisen sie eine deutlich reduzierte Korrodierbarkeit bei gleicher oder höherer Zugfestigkeit als Stahl auf, so dass das notwendige Nennmaß der Betonüberdeckung reduziert werden kann. Dies führt bei gleicher Tragfähigkeit häufig zu geringeren erforderlichen Querschnitten. Im Vergleich zu textilem Gewebe aus alkaliresistentem Glas oder Carbon ist die ökologische Bewehrung einfacher und energieschonender herzustellen, weil die Naturfasern nachwachsend und vielerorts verfügbar sind. Der CO2-Fußabdruck der Bauindustrie lässt sich dadurch auch in diesem Bereich verringern.
(Autor: Paul Deder)