Stark gestiegene Zinsen, hohe Inflation und Knappheiten in den Märkten – seit fast zwei Jahren büßen zahlreiche Weltregionen an Schwung ein. Deutschland zählt zu den größten Verlierern der aktuellen geopolitischen Spannungen. Schon im letzten Jahr ist unser Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt um 0,3 % gesunken. Und auch die Konjunkturvorhersagen des IWF für 2024 zeigen, dass es dem Land an Wachstumsimpulsen mangelt. In der Riege der größten Volkswirtschaften sind die Deutschen bei BIP-Prognosen nach dem krisengeplagten Argentinien Schlusslicht – mit einem Wachstum von lediglich 0,5 %.
Währenddessen wachsen laut IWF-Schätzungen die USA um 2,1 %, China um 4,6 % und das hochsanktionierte Russland um 2,6 %. Neben der Konsumzurückhaltung belasten uns insbesondere die hohen Energiepreise erheblich. Angesichts der Tatsache, dass die energieintensive deutsche Industrie etwa 20 % zum BIP des Landes beiträgt – damit doppelt so viel wie in Frankreich – müssen die Betriebe hierzulande überdurchschnittlich hohe Lasten bewältigen. Hinzu kommt, dass Deutschland als einer der weltweit größten Lieferanten von Investitionsgütern in Zeiten hoher Zinsen und Investitionszurückhaltung nur wenig Vorwärtsdynamik entwickeln kann. Doch allein das reicht nicht aus, um zu erklären, warum ein grundsätzlich gesunder Industriestaat, der die Herausforderungen der letzten Krisen mit Bravur gemeistert hat, nun im internationalen Vergleich derart „abschmiert“. Denn auch in Polen, wo das verarbeitende Gewerbe etwa ein Fünftel zur Bruttowertschöpfung beiträgt, rechnen die Makroökonomen des Landes mit einem Wachstum von 2,3 % im laufenden Jahr.
Es sind nicht allein die Belastungen durch die industrielle Ausrichtung, die uns vor so viele Probleme stellen. Und es wäre zu einfach, sämtliche Probleme Putin zuzuschreiben. Sicherlich tragen die Jahre der Stagnation und des Reformstaus in der Wirtschaftspolitik unter Merkel dazu bei, dass Deutschland heute mit einem Wettbewerbshandicap zu kämpfen hat. Doch vorrangig ist es die mangelnde Bereitschaft der aktuellen Regierung, sich lösungsorientiert den drängenden Problemen des Landes zuzuwenden, die allesamt nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags aufgetreten sind.
Der Mangel an Einsicht führt dazu, dass der Industriestandort Deutschland durch hohe Unternehmenssteuern und teuren Strom schleichend, aber unaufhaltsam unattraktiv wird. Dies wiederum bewirkt, dass uns langfristig nicht nur Großkonzerne, sondern auch die Hidden Champions den Rücken kehren könnten. Die Deindustrialisierung des Landes schreitet voran. Das einst von den Angelsachsen für ihren innovativen Mittelstand neidvoll bewunderte Land ist zum „kranken Mann Europas“ geworden. Internationale Wirtschaftsblätter belächeln uns für unsere Selbstsabotage bei der Atomkraft und für die Unfähigkeit, ein angemessenes Tempo bei Digitalisierung und Entbürokratisierung anzuschlagen. Die einstige „Fortschrittskoalition“ hat sich heute in eine Zwangsehe verwandelt, die durch ihren zickzackartigen Kurs und fragwürdige Entscheidungen das Vertrauen der Bürger verspielt hat. Ob dies am Blockadekurs der einen Partei, an ideologiegetriebenen Bemühungen der anderen oder an der Führungsschwäche des Kanzlers liegt, sei dahingestellt. Das Ergebnis ist jedoch deutlich: Die Mehrheit der Bürger ist mit der Arbeit der Regierung unzufrieden, und der Vertrauensverlust der Wirtschaft in die Politik ist enorm. Minister Habeck bietet gegenüber dem „Economist“ eine Wette an, dass die deutsche Wirtschaft ein Comeback erlebt. Wer ist bereit, seinen letzten Euro darauf zu setzen?
(Autor: Paul Deder)