Mitten in der Ferienzeit weckt ein aktueller Werbespot der Deutschen Bahn Lust auf Reisen. Ein breit grinsender, tiefenentspannter Bahnkunde lehnt sich zurück, schließt die Augen und genießt den Trip. „Weg von den Überstunden, weg vom Stau“ – Eine Bahnfahrt als unvergessliches Erlebnis mit magischen Landschaften außen und dem Komfort eines Fernzugs innen. Der Weg ist das Ziel! Die Realität sieht allerdings oft anders aus: Würde man den Schauspieler gegen einen echten Kunden austauschen, dann wäre sein Lachen eher hysterisch – als Ausdruck einer akuten Belastungsreaktion kurz vor dem Nervenzusammenbruch.
Der durchschnittliche Bahnreisende hätte nämlich schon zu Beginn seiner Odyssee Verspätung bei der Regionalbahn, würde dadurch den Anschlusszug verpassen und müsste beim nachfolgenden Zug den Rest der Strecke im Gang auf dem eigenen Hartschalenkoffer verbringen. Der Werbeclip suggeriert Attribute wie Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Unbeschwertheit und gehört somit dringend überarbeitet. Denn Benefits anzupreisen, die sich in der Praxis als Schwächen erweisen, ist mindestens peinlich. Marketingtechnisch könnte man der Bahn doch auch einen anderen Stempel aufdrücken – z. B. als Abenteuer für Adrenalinjunkies. Mit Nervenkitzel-Garantie, auch für leidenserprobte BahnCard-50-Besitzer.
Tatsächlich kam vergangenes Jahr jeder dritte Zug im Fernverkehr verspätet an. Mit einer Pünktlichkeitsquote von gerade mal 65 % hat die Bahn ein historisches Tief erreicht. Dabei werden nur Züge mit über sechs Minuten Verspätung berücksichtigt und komplette Zugausfälle gar nicht eingerechnet. Den jämmerlichen Zustand des heutigen Schienennetzes führen Kritiker auf die Versäumnisse der 2000er Jahre zurück: Der damalige Bahnchef Mehdorn hat den Konzern damals zwar in die Gewinnzone gebracht, der rigorose Sparkurs und die bescheidenen staatlichen Investitionen in die Infrastruktur haben aber dazu geführt, dass das Schienennetz über viele Jahre vernachlässigt wurde und es der Bahn noch heute an Personal für die künftigen Aufgaben fehlt. Und der Bund hat Großes mit der Bahn vor. Geht es nach der Ampel, dann soll die Schiene mit der Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 zur tragenden Säule der Verkehrswende werden. Der Plan des „Deutschland-Taktes“ sieht u. a. vor, dass zwischen den großen Städten Deutschlands jede halbe Stunde ein Zug fährt – pünktlich und unter Berücksichtigung der Anschlusszüge. Eingemottete Bahnstrecken sollen reaktiviert und der Marktanteil der Schiene im Güterverkehr auf 25 % gesteigert werden. Kostenpunkt: 86 Mrd. Euro.
Bis dahin flimmern im Minutentakt Zusätze wie „Verspätung“ und „Zugausfall“ über die Bildschirme der Bahnhofsanzeigen. Im besten Fall werden die Fahrgäste mit knarzenden Durchsagen über Signal-, Weichen- und Oberleitungsstörungen informiert. Im schlechtesten Fall auch gar nicht – dann lässt man sich einfach überraschen, wie man vorankommt. So wie bei der 11-wöchigen Streckensperrung zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt im Großraum Stuttgart. Pünktlichkeit war hier eher die Ausnahme, oft fielen die Züge komplett aus. Falsche Anzeigen, nicht angekündigte Gleiswechsel und fehlende Reisendenlenker – Wochenlang herrschte pures Chaos für die Pendler. Ein Paradebeispiel dafür, dass es der Bahn neben Technik und Personal auch an Organisations- und Kommunikationskompetenz fehlt. Immerhin bemühten sich die Verantwortlichen um Wiedergutmachung. Kurz vor dem Ende der Baumaßnahmen verteilte die Deutsche Bahn am Bahnhof Waiblingen 1.852 Rote Würste an die Reisenden – eine für jede Stunde Streckenschließung. Mit der Sperrung des Stuttgarter Innenstadttunnels schließt sich allerdings gleich darauf die nächste Einschränkung für die Bahnkunden an. Ich befürchte, das war nicht die letzte „Trostwurst“ für umme für die Schwaben.
(Autor: Paul Deder)